Gehetztes Reh: "Es hat so fürchterlich geschrien". 07.10.2009
Jagdpächter Herman Zierhut ist sauer: Immer öfter reißen wildernde Hunde Rehe in seinem Revier.
Dieser Vormittag wird Ingrid und Manfred Hebig wohl noch lange in Erinnerung bleiben. Um 10.30 Uhr klingeln zwei junge Leute an ihrer Haustür. Schräg gegenüber von ihrem Eingang, am „Affenbrünnle“, liege ein verletztes Reh, sagen sie. Die Hebigs gehen hinüber. „Es hat uns angeschaut und den Kopf gehoben, aber es konnte nicht mehr weg“, erinnert sich die Frau. Das Reh hat am Schenkel eine faustgroße Bisswunde. „Das war schon länger verletzt, da sind schon die Maden herausgekrochen“, erklärt Manfred Hebig.
Suche nach einem Jäger
Die beiden rufen beim Jagdpächter Hermann Zierhut an, aber der ist unterwegs, dessen Frau telefoniert alle bekannten Jäger durch. Derweil halten die Hebigs Wache bei dem verletzten Reh. Sie rufen ein zweites Mal beim Jagdpächter an, aber dessen Frau ist noch immer auf der Suche nach einem Jäger. Wenn sie keinen finde, dann, empfiehlt sie, solle Manfred Hebig ein Messer nehmen und das Reh abstechen. Den aber schüttelt es schon beim bloßen Gedanken daran: „Das könnte ich nicht.“
Endlich erreicht die Frau des Jagdpächters in Wipfeld einen Kollegen ihres Mannes, der sich nach Schonungen auf den Weg macht. Die Hebigs wachen inzwischen seit einer Dreiviertel Stunde beim Reh. „Wir hatten Angst, es kommen Hunde und fallen nochmal über das Tier her.“ Als der Jäger aus Wipfeld endlich kommt, ist Ingrid Hebig mit den Nerven am Ende. „Der hat das Tier ein wenig auf die Seite geschoben, um es zu erschießen“, erinnert sie sich. „Es hat so fürchterlich geschrien, ich bin in die Garage gelaufen, hab mir die Ohren zugehalten und die Tränen sind mir gekommen.“
Jagdpächter Hermann Zierhut packt die kalte Wut, wenn er diese Geschichte hört. „So geht das nicht weiter", sagt er und meint, heuer sei er mehr „Tierkörperbeseitiger“ als Jäger. In den vergangenen Jahren habe es zwei bis drei gerissene Tiere gegeben, das sei für Stadtnähe normal, heuer aber habe sich diese Zahl schon vervierfacht. Das Reh sei schon länger verletzt gewesen, es habe schon zu faulen begonnen. Zierhut war Tage vorher schon einmal in dem Gebiet, da ihm jemand ein schreiendes Reh gemeldet hatte, er hat es aber nicht gefunden. Das Problem sind wildernde Hunde. Ein Kitz oder eine trächtige Geis ist nicht schnell genug, weiß Zierhut, und ein Hund, der einmal das Wildern entdeckt hat, wird dabei immer raffinierter. Zierhut ist Hundeliebhaber und hat selbst zwei große Hunde. Die sind abgerichtet, haben alle Hundeprüfungen bestanden und dennoch weiß er, dass er auch auf sie aufpassen muss, damit sie nicht anfangen zu jagen.
Viele Leute mit großen Hunden sind ganz vernünftig, erklärt der Jagdpächter, aber es gibt eben auch die anderen. „Eine Frau war sogar noch stolz darauf, dass ihr Hund die Rehe jagt“, erzählt er. Am meisten ärgert den Jäger, wenn die Leute so dumme Antworten geben wie „Und was macht ihr? Ihr seid doch auch nur Mörder und Totschießer.“ Jagd sei zu 95 Prozent Arbeit, erklärt er. Da müssten Wildäcker angelegt, Hochsitze gebaut, Salzsteine ausgelegt und im Winter müsse zugefüttert werden. Außerdem müsse man quasi rund um die Uhr verletztes und angefahrenes Wild erlegen und entsorgen. „Das macht keinen Spaß, kürzlich musste ich sogar ein Kitz erschießen, weil die Geis von einem Hund fast zu Tode gejagt wurde.“
Das Wild hat bei uns oft keine natürlichen Feinde mehr und wenn es nicht bejagt wird, dann nimmt es überhand und richtet viel Schaden an. Wildschweine beispielsweise seien in Schonungen sogar schon auf dem Friedhof gewesen, berichtet der Jäger. Die Abschussquoten werden vom Landratsamt genau festgelegt. Das Ärgerliche für den Jagdpächter ist, dass jedes verletzte Wild im Abschussplan so gewertet wie ein frisch erlegtes. Nur, der Jagdpächter hat davon nichts mehr. 20 Stück Rehwild stehen heuer auf dem Abschussplan für Schonungen, davon, so Zierhut, sei nicht mehr viel übrig. Auch freilaufende Tiere hätten ein Recht auf Schutz, meint der Jagdpächter, doch weist er darauf hin, dass Jäger zum Schutz der Wildtiere im Ernstfall sogar von der Schusswaffe Gebrauch machen dürften (Art. 42 Bayerisches Jagdgesetz).
Zierhut: Hunde anleinen
Zierhut appelliert dennoch an die Vernunft der Hundehalter, ihre Vierbeiner beim Spaziergang anzuleinen. Auch meint er: „Nicht jeder Hund passt in unsere Breiten.“ Dabei hat er einen weißen Husky im Blick, der ihm, obwohl er an der langen Leine ging, schon zwei Rehkitze gerissen hat. Der Hund habe einen so guten Riecher, dass er die Rehe im Gebüsch aufspüre und zuschlage, bevor das Herrchen reagieren kann. Große Hunde gehörten auch nicht in Stadtwohnungen, meint der Jäger und findet, dass man dafür auch einmal ein Gesetz bräuchte. Ein Hund brauche Auslauf und eine artgerechte Unterbringung. Aber „die Leute werden immer unvernünftiger“, so sein Resümee.
Wildernde Hunde in Deutschland, Österreich und der Schweiz.