REHE ALS HUNDESPIELZEUG. 06.04.2013
      Der schwarze Schäferhund-Mischling ist schnell, zu schnell für das erst wenige Monate alte Rehkitz. Auf den Maisstoppeln holt er es ein. Der Hund beißt sich in den Hinterkeulen des Kitzes fest, zerrt es zu Boden. Das Kitz kann sich losreißen, der Hund packt es erneut, schlägt seine Fangzähne in die Flanken, in Bauch und Hals des Kitzes, wieder und wieder läuft die Szene ab.
      „Das Reh hat geschrien wie ein kleines Kind, es war furchtbar“, sagt Petra T., eine Spaziergängerin, die das blutige Schauspiel mit ansehen musste. Als sie bemerkt, dass das Reh vor seinem hartnäckigen Verfolger in ein kleines Wäldchen in der Nähe fliehen will, rennt sie los. Es gelingt ihr, den Hund zu verscheuchen. Dann macht sie sich auf die Suche nach dem schwer verletzten Kitz. „Es saß laut röchelnd in einer kleinen Kuhle im Wald und sah mich an.“ Das Kitz flieht nicht mehr, obwohl Petra T. bis auf wenige Meter herantritt.
      Glücklicherweise macht Petra T. jetzt alles richtig: Sie ruft die Polizei an, die den zuständigen Jäger verständigt. Dem Revierpächter bleibt nichts anderes übrig, als das hoffnungslos kranke Tier zu erlösen. „Hätte Frau T. sich nicht so vorbildlich verhalten, würde das Kitz jetzt noch tagelang im Gebüsch liegen und vor sich hin sterben“, so der Jäger. Anders als etwa Wölfe hätten es die meisten Hunde nämlich verlernt, Beutetiere schnell zu töten. „Wir finden die qualvoll verendeten Rehe dann irgendwo im Schilf.“
      Nicht nur in der Umgebung von Großstädten ist es ein beinahe alltäglicher Vorgang, dass wildernde Hunde Rehe reißen. Wer das Stichwort „Reh“ in der Google-Newssuche eingibt, erhält fast täglich entsprechende Treffer aus verschiedenen Teilen Deutschlands. Ordnungsamt und Polizei erklären sich für unzuständig oder überfordert – Parksünder aufschreiben ist anscheinend einfacher und bringt mehr ein – und auf die Einsicht der Hundebesitzer ist nicht zu rechnen:
      Als der oben erwähnte Jäger das Reh nach dem Fangschuss aus dem Gebüsch auf den Weg zerrt, sieht er von weitem ein Paar mit zwei großen, frei laufenden Hunden. Als sie den Jäger sehen, nehmen sie diese an die Leine. „Ach Gott, das arme Tier, was hat es denn?“, fragen sie teilnahmsvoll, als sie das zerschundene Reh sehen. „Das waren freilaufende Hunde, erkläre ich denen“, so der Jäger, „Da taten sie ganz betroffen und sagten, das sei ja schlimm, da müsse man die Hunde ja wirklich an die Leine nehmen. Als ich das Reh aufgeladen hatte, fuhr ich mit meinem Geländewagen an den Leuten vorbei: Sie gingen abseits der Wege, und die Hunde liefen wieder frei…“
      „Es geht bei wildernden Hunden nicht um Ordnungswidrigkeiten“, erklärt der Berliner Rechtsanwalt Jens Ole Sendke, der sich auf Jagdrecht spezialisiert hat. „Hier liegen Verstöße gegen das Tierschutzgesetz und Jagdwilderei vor – das sind Straftaten.“ Die Rechtsprechung vertrete den Standpunkt, dass Hundebesitzer davon auszugehen haben, dass ihr Hund Wild hetzt. Auch mit dem Vorkommen von Wild müsse überall – nicht nur im Wald – gerechnet werden. „Den Hund von der Leine zu lassen und es billigend in Kauf zu nehmen, dass er außer Sichtweite kommt, reicht für bedingten Vorsatz bereits aus“, erklärt der Jurist.
      Doch was nützen strenge Strafen, wenn das Risiko erwischt zu werden, gegen null geht? Natur- und Tierschutz, die angeblich ja allen so wichtig sind, sind offenbar nur dann von Bedeutung, wenn man sie von anderen fordern kann – und irrelevant, wenn die eigene Bequemlichkeit tangiert ist.
     
      Dieser Beitrag wurde am 6. April 2013 von admin in Aktuell, Hunde veröffentlicht. Schlagworte: Hunde, Jagdschutz, Reh, Rehwild, Wilderei, wildern.

     Wildernde Hunde in Deutschland, Österreich und der Schweiz.