TOD IM KORNFELD. 25.07.2011
      Das Pfötliumland besteht zu grossen Teilen aus Feldern und Wald, und auf meinen Gassirunden sehe ich in der Entfernung immer mal wieder Rehe auf den waldnahen Wiesen äsen. Je nachdem, aus welcher Richtung er weht, bekommen sie dann irgendwann Wind von meiner Gegenwart und suchen fluchtartig Schutz im Wald. Meistens – und falls wegtechnisch möglich – drehe ich vorher selber ab. Und seis auch nur, weil seit der Erfahrung mit Rocco mein Interesse komplett erloschen ist, mich von einem jagdfiebrigen Pfötlianer auf die glühend heisse Fluchtspur eines Rehs oder sonstigen Wilds verschleppen zu lassen.
      Vor etwa zwei Wochen konnte ich an einem Waldrand an der Landstrasse zwischen Kloten und Bülach sogar eine Ricke mit ihrem Kitz beobachten, wenn auch nur wenige Sekunden bevor Mama Reh den Nachwuchs wieder ins blickdichte Unterholz bugsierte. Etwa 200, 250 Meter entfernt von mir standen die beiden, so nah war ich noch nie ran gekommen. Gestern dann konnte ich bei einem Kornfeld auf etwa derselben Höhe ein Kitz ganz aus der Nähe betrachten. Es war nur leider tot. Von einem Hund gerissen.
      Der Wildhüter, den ich anrief und zur Fundstelle begleitete, musste nur einen Blick auf den Kadaver werfen, und so wie er zugerichtete war, war der Fall war für ihn klar. Ich selbst wäre an dem toten Kitz, das an einer von Regen und Wind plattgewalzten Stelle in einem Kornfeld lag, achtlos vorbei, hätte der an einer Schleppleine gesicherte Jimmy nicht mit vibrierender Nase einen Linkshaken ins Getreide geschlagen. Der kleine kirschholzfarbene Körper lag auf der Seite, die Läufe angewinkelt, der Hals mit einem leichten Knick, an der Kehle vom Regen verwaschene, kaum sichtbare Blutspuren, die Augen weit geöffnet, der Blick schwarz und starr. Nach einem Gemetzel sah das zunächst nicht aus. Erst als der Wildhüter den Kadaver hochhob, war klar, dass dieses Kitz gerissen worden war, die unteren Rippenbögen lagen frei, darunter ein blutiges, klaffendes Loch und die zunächst nicht sichtbare Seite des Halses wies eine tiefe Wunde auf. „Das war ein Hund“, meinte der Wildhüter nur, und ihm war deutlich anzumerken, wie leid es ihm um das Kitz tat.
      Und eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass er jetzt einen wütenden Vortrag über wildernde Hund und deren Halter los lassen würde. Zumal er mir schon auf dem Hinweg erzählt hatte, dass immer wieder abgeleinte und vom Jagdeifer getriebene Hunde für den Tod von Rehkitzen verantwortlich wären. Wobei es sich laut Jagdgesetz übrigens um einen Strafbestand handelt. Doch die Tirade blieb aus. Er sei alles andere als ein Hundehasser. Was ihm aber einfach nicht in den Kopf wolle, das seien diejenigen Halter, die ihre Hunde von der Leine liessen, obwohl die nicht abrufbar sind. Das sei einfach unverantwortlich und zwar ganz egal wo, ob Wald oder Stadtpark oder Spazierweg. Im Wald käme allerdings erschwerend hinzu, dass die Wildspuren den Jäger im Hund wecken, eine Seite an ihrem Vierbeiner, von dem viele nicht wüssten, dass er sie hat. Dabei verfüge grundsätzlich jeder Hund über das Potential, darüber müsse man sich im Klaren sein. Worauf mir wieder einfiel, wie neulich im Wald aus dem gemütlichen Beisswursttransporteur Basi ein triebgesteuerter Berserker wurde, als ein Reh unseren Weg kreuzte, das selbigen nur deshalb unbehelligt fortsetzen konnte, weil Basi angeleint war. So wie alle Pfötlianer immer und überall nur angeleint unterwegs sind.
      Wäre das also die Lösung, den Hund im Wald an der Leine zu führen? Für den Wildhüter das einzig richtige, und zwar nicht nur von April bis Ende Juli, also in der Setzzeit von Fuchs und Reh, sondern generell. Ausser, der Hund ist in jeder Situation garantiert abrufbar. Oder überzeugter Vegetarier und praxiserprobter Pazifist. Aber davon gibt es nicht allzu viele. In jedem Fall aber solle man den Wildhüter informieren, wenn der eigene Hund ein Wildtier gerissen hat. Damit es wenigstens nicht qualvoll verenden muss. So wie das Rehkitz in dem Kornfeld zwischen Kloten und Bülach.
      Übrigens: Die Telefonnumer des zuständigen Wildhüters erfährt man bei der Gemeinde. Am besten speichert man die Nummer im Natel ab. Wer ortsfremd unterwegs ist oder die Nummer nicht zur Hand hat, wendet sich an die Polizei (117), die dann ihrerseits den Wildhüter informiert.
      Ich weiss, dass es Hundehalter gibt, die sich mit der Idee, ihren Hund im Wald an der Leine zu führen nicht anfreunden mögen. Weil es schon genug Vorschriften gibt, weil sie ihr Leben mit Hund schon jetzt als bevormundet und komplett durchreguliert empfinden. Oder weil sie nicht einsehen, warum sie ihrem Hund das Ausleben seines natürlichen Jagdtriebes verwehren sollen (oh doch, die gibts auch!). Nur ist es genau diese Haltung, die dafür verantwortlich ist, dass der Freiraum für alle Hundefreunde immer kleiner wird. Wenn wir nicht noch mehr Verordnungen für unser Zusammenleben mit einem Hund wollen, dann liegt es an jedem einzelnen von uns, mit umsichtigem Verhalten und gesundem Menschenverstand dafür zu sorgen, dass es keinen Grund gibt für neue Vorschriften. So einfach ist das. Wer also seinen jagdinteressierten oder nicht sicher abrufbaren Vierbeiner im Wald an die Leine nimmt, sichert damit langfristig ein Stück Freiheit. Für sich, seinen besten Freund und für alle anderen Menschen mit Hund.
     

     Wildernde Hunde in Deutschland, Österreich und der Schweiz.