Hund und Wildtier Hund und Wildtier
     Gegenseitige Rucksichtnahme ist der Schlussel zu einem konfliktarmen Nebeneinander. Was es dazu braucht, sind Respekt, Einfuhlungsvermogen und Verstandnis. Mit dieser Serie will das Schweizer Hunde Magazin zu einem guten Miteinander beitragen. Heute geht es um Hunde in Naturschutzgebieten und Waldern.Macht Ihr Hunde gerne Jagd auf Rehe, Fuchse oder Hasen?
      Dann ist Arger programmiert: gestresstes Wild, gereizte  Wildhuter, entnervte Halter. Wenn sich jagende  Hunde auf Velofahrer oder Autos spezialisieren, wird es besonders gefahrlich. Denn Hunde im Jagdfieber machen auch vor Hauptstrassen nicht Halt. Fokussiert auf das Reizobjekt, nehmen sie nichts anderes mehr wahr Das Jagen ist ein selbstbelohnendes Verhalten. Beim Aufspuren und Verfolgen der Beute werden im Hundegehirn Hormone ausgeschuttet, die den Hund in einen Rausch versetzen. Je haufiger der Hund diesen «Jagdrausch» erlebt, umso mehr wird er die Gelegenheit zum Jagen suchen – wenn sein Halter es nicht verhindert.
      Viele Hundehalter sind davon uberzeugt, dass ihre Hunde nicht jagen. Wenn jedoch ein aufgescheuchtes Reh davonrennt, weckt es bei fast jedem Hund den naturlichen Jagdtrieb. Ein trachtiges Reh hat dann keine Chance. Und wenn der Hund das Reh nur «zum Plausch» jagt, ohne es zu verletzen, besteht die Gefahr des Verwerfens: das Kitz wird tot geboren.
      Viel genutzter Wald In den Waldern des Mittellandes tummeln sich Naturfreunde und Erholungssuchende aller Couleur: Spazierganger, Pilzler, Biker, Reiter, Hundeler – da wird es eng fur unsere heimischen Wildtiere. Zumal ihre Gebiete im Siedlungsgurtel stark zerstuckelt und durch zahlreiche Barrie ren wie Autobahnen und Schienen voneinander getrennt sind. Rucksichtnahme ist oberstes Gebot im Wald.
      Jager haben die Aufgabe, das Wild zu schutzen – auch vor Hunden. Die sind eine grossere Gefahr fur das Wild, als so mancher Hundehalter glauben mag: Im Jahre 2012 wurden gemass eidgenossischer Jagdstatistik 632 Rehe, 7 Rothirsche, 7 Gamsen und 4 Wildschweine von wildernden Hunden gerissen.
      Jagdbare Wildtiere, die wahrend der Jagd mit Hilfe eines Hundes gejagt werden, erscheinen in der Jagdstatistik unter «Abschuss». 2012 wurden demnach uber 40000 Rehe waidmannisch erlegt. Und gemass Schweizerischem Versicherungsverband kollidiert jede Stunde ein Auto mit einem Reh – das macht fast 9000 Rehe pro Jahr. Insgesamt werden jahrlich rund 20000 Wildtier-Unfalle gemeldet. Die Dunkelziffer durfte hoch sein. Die meisten Unfalle enden fur das Wild todlich. Leid verhindern – Meldung machen Jager erschiessen 63-mal mehr Rehe, als Hunde solche reissen. Wo ist das Problem, wenn ein Reh einem Hund zum Opfer fallt? «Es geht um die Art und Weise der Jagd», sagt Reto Muggler, Obmann des Jagdreviers Winterthur. «Die Jagd soll schnell gehen, um Leid zu verhindern.
      Deshalb schiessen wir 80 Prozent des Wildes vom Ansitz aus.» Jagdhunde, so Mugger, hatten eine Risthohe von maximal 60 Zentimetern. Sie seien relativ langsam und hatten keine Chance, einem gesunden Reh nachzujagen. «Grossere Hunde hingegen hetzen Rehe regelrecht.» Fruher oder spater unweigerlich in einen Zaun oder auf die Strasse, wo sie eine Gefahr fur Verkehrsteilnehmer seien. Und wenn ein Hund das Reh erwische, erleide es einen qualvollen Tod. «Denn anders als Wolfe gehen Hunde nicht an die Gurgel.» Als Jagdaufseher in einem Stadtrevier habe er sehr viel zu tun mit Hundehaltern, sagt Muggler und be tont, dass es mit 90 Prozent von ihnen uberhaupt kein Problem gebe. «Es gibt Hundehalter, die ihren Hund absolut unter Kontrolle haben. Was hingegen sicher nicht stimmt, ist die Aussage, mein Hund jagt nicht.
      Der Jagdinstinkt ist rassebedingt mehr oder weniger stark ausgepragt, aber er steckt in jedem Hund.» Es konne deshalb jedem passieren, dass sein Hund ein Reh verletzt. Damit dieses nicht lange leidet, musse man bei der zustandigen Jagdverwaltung oder der Polizei umgehend Meldung machen. Tue man dies, werde man in der Regel nicht gebusst, so Muggler. «Wir erschiessen keine Hunde» Der Jagdinstinkt gehort zum Wesen des Hundes. Deshalb gilt es, wenn man den Hund nicht unter Kontrolle halten kann, ihn im Wald an der Leine zu fuhren, um gegen Jagdausfluge und Konflikte mit anderen Waldnutzern vorzubeugen. Der Kanton Zurich zum Beispiel kennt dennoch keine allgemeine Leinenpflicht. Im Gesetz steht, dass der Hund unmittelbar bei sich und unter Kontrolle zu halten sei. «Eine schwammige Definition», meint Muggler. «Wir sagen nichts, ausser wenn der Hund offensichtlich nicht unter Kontrolle ist oder sogar jagt. Dann bringen wir die Halter bei der Stadtpolizei Winterthur zur Anzeige.» Fehlbare Hundehalter riskieren eine Geldbusse und im Wiederholungsfall den Abschuss ihres Hundes. «Wir erschiessen keine Hunde», sagt Muggler. Ihm sei in der Region auch kein Fall bekannt, zumindest nicht in den letzten 25 Jahren. Weil es fur Abschusse von Hunden keine Meldepflicht gibt, existieren weder amtliche Statistiken noch zuverlassige Schatzungen. Es lasst sich auch kaum ein Jager finden, der sagt, dass er auf Haustiere schiesst.
      Karl Luond, damaliger Chefredaktor der Fachzeitschrift «Jagd und Natur», schrieb schon 2005: «Ich verstehe jeden, den es im Schiessfinger juckt, wenn ein unbeaufsichtigter Hund sein Unwesen treibt.» Weil er aber eine schlechte Presse so furchtet «wie ein Loch im Kopf», fordert er von seinen Kameraden strikte Disziplin: «Ich bin mit Nachdruck der Meinung, dass es heute nicht mehr drinliegt, irgendwelche Haustiere im Wald zu erschiessen.» Respekt vor der Natur Uber den Tisch von Thomas Burkard, Leiter der Gruppe Information und Aufsicht der Stiftung Reusstal, die sich seit 1962 fur eine intakte Reusstal-Landschaft einsetzt, gehen jahrlich um die 1000 Verfehlungen. «Die uberwiegende Zahl davon betrifft nicht angeleinte Hunde», sagt Burkhard. Seine 15 Mitarbeiter sind 365 Tage im Jahr in den Naturschutzgebieten zwischen Bremgarten (AG) und Muhlau (ZH) unterwegs. 95 Prozent aller Hundehalter in ihrem Gebiet verhielten sich korrekt, sagt Burkhard und erklart, wieso das wichtig ist: «Nicht angeleinte Hunde gefahrden das Wild und bodenbrutende Vogelarten, fur die das Reusstal im Mittelland eines der wichtigsten Gebiete ist.» Ganze Biotope konnten durch Hunde blockiert werden, Ruhe-, Fress- und Balzplatze. Zudem sei die Verschmutzung durch Hundekot eine unerwunschte Eutrophierung – der Dunger bedrohe die angestammte Flora.
      Weiter werde der Fluchtstress bei Vogeln erhoht, was in den kleinen Schutzgebieten ohne Ruckzugsmoglichkeiten einer Verdrangung gleichkomme.
      «Nicht angeleinte Hunde sorgen auch fur eine allgemeine Beunruhigung des Erholungsbetriebs», sagt Burkhard. «Die meisten Erholungssuchenden wollen, dass die Hunde angeleint sind.»
      Hundehalter, die ihre Schutzlinge richtig beaufsichtigen – vielerorts bedeutet das: an die Leine – leisten also nicht nur einen Beitrag zum guten Miteinander, sondern auch zum Wildtier- und Naturschutz.
      INTERVIEW
      Jennifer Marti, rechtswissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung fur das Tier im Recht (TIR), bringt Licht ins Dunkle des Schweizer Hundegesetz-Dschungels.
      Durfen Hunde in Wald und Wiesen frei herumlaufen? Neben den kantonalen Hundegesetzen muss die Jagdund Naturschutzgesetzgebung berucksichtigt werden.
      Haufig werden explizite Vorschriften genannt, wie z.B. dass die Hunde in Waldern und an Waldrandern in Sichtweite auf kurzer Distanz zu halten (ZH) oder Hunde wahrend der Setz- und Brutzeit an der Leine zu fuhren sind (AG, BL). Teils sehen die Kantone auch eine generelle Leinenpflicht im Wald und an Waldrandern vor, wie etwa der Kanton Glarus. Weiter mussen die besonderen Regelungen in Naturschutzgebieten und Wildruhezonen beachtet werden. Ziel dieser Vorschriften ist das Verhindern von Schaden an Wald, landwirtschaftlichen Kulturen, Nutz- und Wildtieren.Durfen Jager frei laufende Hunde erschiessen?
      Frei laufende Hunde durfen nicht erschossen werden. Unter bestimmten Umstanden konnen jedoch wildernde Hunde zum Abschuss freigegeben werden. Als Wildern bezeichnet man das Verhalten eines Hundes mit dem Zweck, Wild aufzuspuren.
      Dabei reicht es, wenn der Hund die Verfolgung eines Wildtieres aufnimmt, d.h. es muss nicht abgewartet werden, bis der Hund das Wild stellt oder reisst. Gemass eidgenossischem Jagdgesetz wird mit Busse bis zu 20000 Franken bestraft, wer vorsatzlich und ohne Berechtigung Hunde wildern lasst. Weitere Normen lassen sich auf eidgenossischer Ebene nicht finden. Die Kompetenz zum detaillierten Erlass jagdrechtlicher Bestimmungen liegt bei den Kantonen. Der Bund legt nur Rahmenvorschriften fest. Jeder Kanton kann daher selber entscheiden, ob er das Schiessen auf wildernde Hunde – unter Umstanden sogar ohne Vorwarnung – erlauben soll.
      Jager mussen sich jedoch immer bewusst sein, dass sie sich strafbar machen, wenn sie einen Hund abschiessen und die vom Gesetz geforderten Voraussetzungen nicht gegeben waren. Relevant sind dann die Tatbestande der Sachbeschadigung und der Tierqualerei.
      Was ist zu tun, wenn der Hund im Wald angeschossen wurde?
      Damit der Tierarzt einem verletzten Tier helfen kann, sind richtig ausgefuhrte Erste-Hilfe-Massnahmen und ein schneller, sicherer Transport in die nachste Praxis oftmals entscheidend. Wichtig fur den Transport ist, dass das Tier nicht auf der verletzten Seite liegt und man bewusstlosen Tieren niemals Flussigkeiten oder Medikamente verabreicht.
      Der Vorfall muss der Polizei und der kantonalen Jagdverwaltung gemeldet werden. Die Situation sollte man genau dokumentieren (Fotos, Videos), den Schutzen ausfindig machen und bei Verdacht auf unverhaltnismassiges oder gar ungerechtfertigtes Handeln Strafanzeige erstatten. Falls es zu Beweisschwierigkeiten kommt, ist wohl davon auszugehen, dass im Zweifel das Wort des Jagdaufsehers in der Regel schwerer wiegt, da dieser als offentlicher Beamter gilt und somit als neutraler als der Hundebesitzer.
      Wie viele Hunde wurden in den letzten Jahren von Jagern getotet?
      In der Rechtsfall-Datenbank der TIR werden alle in den Kantonen verfolgten Tierschutzverstosse erfasst. Falls jedoch ein Jager einen wildernden Hund erschiesst und strafrechtlich nichts zu beanstanden ist, wird der Fall nicht an die TIR weitergeleitet und erscheint daher nicht in der Datenbank.
      Im Kanton Thurgau hat ein Jager 2013 auf zwei wildernde Hunde geschossen. Das Verfahren wurde je doch eingestellt, weil die Strafverfolgungsbehorde zum Schluss kam, dass der Abschuss gerechtfertigt war. Dies ist meines Wissens der einzige dokumentierte Fall in unserer Datenbank.
      Links zu den kantonalen Erlassen des Jagdrechts:
      www.tierimrecht.org/de/recht/gesetzestexte.php JAGER VERSUS HUNDEHALTER
      Wer sich an die Regeln halt, macht ublicherweise keine schlechten Erfahrungen mit Jagern. Es gibt aber selbsternannte «Sheriffs», die Hundehalter mehr oder weniger unfreundlich zurechtweisen – selbst wenn diese sich korrekt verhalten. Und nun, wie reagieren? Wir geben Ihnen ein paar Tipps:
      • Atmen Sie ruhig durch und nehmen Sie Ihren Hund an die Leine. Denn sollten die Emotionen «hochgehen», mussen Sie damit rechnen, dass Ihr Vierbeiner anderes reagiert als sonst.
      • In jedem Fall sollte man den Dialog suchen, freundlich, aber bestimmt.
      • Stellen Sie sich Ihrem Gegenuber vor und fragen Sie diesen, wenn er sich nicht vorgestellt hat, nach seinem Namen und seiner Funktion bezuglich Wald und Wild. Nun ist das Ganze bereits nicht mehr so anonym und man bleibt in der Regel hoflicher.
      • Grundsatzlich durfen Hundehalter nur angegangen werden, wenn ihre Hunde etwas tun oder Anstalten machen, etwas zu tun, das dem Jagdgesetz widerspricht. Deshalb sollte man zunachst fragen, ob ein Verstoss vorliegt, und wenn ja, welcher. Fragen Sie, gegen welches Gesetz Sie verstossen haben. Haben Sie tatsachlich einen Regelverstoss begangen, entschuldigen Sie sich dafur und bedanken Sie sich, denn beim nachsten Mal wissen Sie Bescheid.
      • Haben Sie und Ihr Hund sich korrekt verhalten und gibt es keinen Grund zur Beschwerde, wird dem Gegenuber wohl ziemlich bald die «die Luft ausgehen». Ist das nicht der Fall und werden Sie ungebuhrlich angesprochen, wenden Sie hoflich, aber bestimmt ein, dass Sie ein anstandiges Benehmen wunschen, ansonsten das Gesprach fur Sie beendet sei. Ist keine Diskussion auf hoflichem Niveau moglich, entfernen Sie sich ruhig vom Ort des Geschehens.
      • Versuchen Sie dem Jager gegenuber Verstandnis aufzubringen. Vielleicht hat er schon mit manchen uneinsichtigen Hundehaltern zu tun gehabt und einige von Hunden verletzte Tiere erschiessen mussen. Umso wichtiger ist es, ihm zu zeigen, dass er in Ihnen einen «Verbundeten» hat, der ihn versteht und dem das Wohl der Wildtiere auch am Herzen liegt.
      • Werden Sie ungerechtfertigt belehrt oder gar beschimpft, versuchen Sie auf einer vernunftigen Ebene einen Dialog zu fuhren. Vielleicht konnen Sie dem Jager erklaren, dass Sie nicht nur die obligatorischen Kurse besucht haben, sondern Ihr Tier artgerecht beschaftigen, es in Prufungen fuhren usw. Und dass Sie nicht in den gleichen Topf wie die unseriosen Hundehalter geworfen werden wollen. Er mochte sicher auch nicht in den «Jagertopf» mit denen, die Hunde mit Fuchsen verwechseln, oder mit denjenigen, die auf einen RapidHandmaher schiessen, weil sie glauben, es sei ein Hirsch, geworfen werden…
      WAS TUN, WENN ETWAS PASSIERT?
      Hunde sind bekanntlich keine Maschinen, Menschen auch nicht, daher kann es leider trotz guter Beaufsichtigung passieren, dass Ihr Hund einem Wildtier nachhetzt. Und nun, was ist zu tun?
      • Kommt Ihr Vierbeiner nach kurzer Zeit zuruck, ist anzunehmen, dass er das Tier nicht erwischt hat, Sie mit dem Schrecken davonkommen und Ihr Hund ein tolles Jagderlebnis hatte – Gluck gehabt! Bedenken Sie jedoch, Ihrem Hund hat das Hetzen grossen Spass bereitet, er wird die nachste Gelegenheit bestimmt nicht auslassen. Ein Antijagdtraining unter versierter Anleitung ist empfehlenswert.
      • Kommt Ihr Vierbeiner erst nach langerer Zeit zuruck, haben Sie vielleicht auch die Schmerzensschreie des gehetzten Tieres gehort und/oder hat Ihr Hund einen blutigen Fang, mussen Sie davon ausgehen, dass er das Wildtier zumindest verletzt hat. Machen Sie eine Meldung an den Jagdaufseher. Wenn Sie nicht wissen, wer das ist, rufen Sie die Polizei an, die weiss, wer im entsprechenden Gebiet zustandig ist. So kann das gerissene Tier gesucht und allenfalls erlost werden. Wenn Sie Ihren Hund nicht bis an sein Lebensende an der Leine fuhren wollen, mussen Sie jetzt handeln!

     Wildernde Hunde in Deutschland, Österreich und der Schweiz.